Der letzte Schlüssel

Energiespeicher – Das renommierte Karlsruher Institut für Technologie betreibt den größten Photovoltaik-Speicherpark in Deutschland. Dort sollen bis 2016 marktreife Prototypen für private Energiespeichersysteme entstehen.

Das Thema ist alles andere als trivial. Dennoch ist Olaf Wollersheim überzeugt: „Wir werden bald Prototypen für Solarspeicher im Privatbereich haben, die sicher sind – und preislich so attraktiv, dass sich der Markt dafür öffnet.“ Nicht zu vergessen: Die neue Speichergeneration wird auch die Netzdienlichkeit erneuerbarer Energien deutlich verbessern. Das Potenzial für solche Systeme sei da, so der Projektleiter Competence E am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) – „und es wird noch wachsen.“

Für den KIT-Projektleiter und seinen Kollegen Andreas Gutsch ist es nur eine Frage kurzer Zeit, bis die Energiewende auch in Deutschland wieder Fahrt aufnimmt. Und der richtigen Technologie. „Die Frage, mit welchen Technologien die Energiewende gelingt, wollen wir beantworten, indem wir intensiv und interdisziplinär forschen und diese Technologien selbst entwickeln.“ Das Ziel sind Prototypen, die alle Kriterien erfüllen, um in Serie zu gehen und am Markt zu bestehen.

Dazu arbeiten am KIT << Bitte ersetzen durch: etwa hundert>> mehrere hundert Forscher und Entwickler aus den Fachbereichen Chemie, Materialforschung, Produktions- und Verfahrenstechnik, Elektrotechnik, Produktentwicklung, Fahrzeugsysteme, Informatik und Technikfolgenabschätzung zusammen.

Zu den besonders beeindruckenden Vorzeigeprojekten zählt der größte deutsche Solar-Speicher-Park, den das Institut seit Sommer 2014 auf dem eigenen Gelände betreibt. Als Industriepartner haben die pragmatischen Wissenschaftler die Unternehmen Solarwatt und Kostal Solar Electric gewonnen. Solarwatt mit Sitz in Dresden hat die Module für den Solarpark geliefert, von Kostal kommen die PIKO-Wechselrichter, die dort im Einsatz sind.

Mehr als 100 Systemkonfigurationen

Mit entscheidend für rasche und praxisnahe Ergebnisse ist eine möglichst breite technologische Basis. Deshalb hat das Competence-E-Team seine Forschungsanlage mit mehr als 100 verschiedenen Systemkonfigurationen bestückt. Die fest installierten Solarpaneele mit einer Gesamtkapazität von rund einem Megawatt unterscheiden sich zum Beispiel in ihren technischen Bauteilen und in der Neigung, aber auch in ihrer Ost-West-Ausrichtung, die in Summe etwa dem Lauf der Sonne entspricht. Damit wollen die Karlsruher Forscher unter anderem einen möglichst ausgeglichenen Lastgang über den Tag hinweg erreichen – eine erste Maßnahme, mit der sich allzu hohe Produktionsspitzen bereits ohne weitere technische Eingriffe vermeiden lassen.

Ein ähnlicher Effekt ließe sich durchaus auch mit Systemen erreichen, die sich nach der Sonne ausrichten, räumt Olaf Wollersheim ein – ihr Lastgang ist wesentlich ausgeglichener als der von starr installierten Anlagen, und sie erzeugen darüber hinaus deutlich mehr Solarstrom pro Quadratmeter Modulfläche. Dennoch habe man sich gegen den Einsatz nachgeführter Systeme entschieden. Zum einen seien der Einmal-Invest und die Wartungskosten höher, zum anderen seien PV-Module inzwischen so günstig zu haben, dass der Mehrertrag den Aufwand für Nachführung zumindest für ihr Projekt nicht rechtfertige.

„Wir haben hier in Karlsruhe erfreulicherweise kein Platzproblem und müssen auch nicht eine bestimmte Menge an Solarstrom generieren, wie etwa ein produzierendes Unternehmen, das eine möglichst hohe Eigenbedarfsdeckung auf begrenzter Fläche erreichen will. Also haben wir lieber mehr Kapazität, sprich mehr Modulfläche aufgebaut.“

Flächendeckender Ausgleich

„Die Forschungsinfrastruktur im Solar-Speicherpark ist so aufgebaut, dass man damit das Zusammenspiel der neuesten Generationen von Solarmodulen, Stromrichtern und Lithium-Ionen-Batterien in einem relevanten Maßstab untersuchen kann“, erklärt der KIT-Projektleiter. „Der flächendeckende Ausgleich von Stromerzeugung und Bedarf ist ein wichtiger Baustein für die Energiewende. Deshalb die unterschiedliche Ausrichtung der Module, und deshalb vor allem die Zwischenspeicherung in Batterien.“

Drei Ziele sind es im Wesentlichen, die das Competence-E-Team am KIT erreichen will:

  • Prototypen für sichere und wirtschaftliche Solarspeichersysteme entwickeln, die für private wie gewerbliche Verbraucher attraktiv sind.
  • Systeme und Steuerungskomponenten entwickeln, auf deren Basis der gespeicherte Strom deutlich günstiger bereitgestellt werden kann als von den Energieversorgern. Als Richtwert nennt Olaf Wollersheim hierfür rund 28 Cent pro Kilowattstunde für Privatkunden, für gewerbliche Nutzer 20 Cent oder weniger.
  • Systeme bereitstellen, die eine höchstmögliche Netzverträglichkeit von eingespeister Energie aus erneuerbaren Quellen garantieren.

Kurz: Es geht darum, „zukunftsweisende Lösungen und Systemkonfigurationen zu entwickeln, die auf einem globalen Markt bestehen können“, wie es Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka, Präsident des KIT, formuliert.

Strom für 6,9 Cent pro kWh

In ausgesprochen vielversprechende Dimensionen sind die Karlsruher Forscher schon jetzt beim Stromgestehungspreis vorgedrungen, wie Olaf Wollersheim nicht ohne Stolz anmerkt: „Wir arbeiten ja nicht erst seit vergangenen Sommer an diesem Thema. Heute erzeugen wir mit unseren Systemen Solarstrom bereits für 6,9 Cent pro Kilowattstunde – alle Investitionen eingerechnet.“

Auch das Ziel, die gespeicherte Energie zu einem deutlich günstigeren Preis bereitzustellen als der Strom bei den öffentlichen Versorgern kostet, sei längst erreicht. „Allerdings variieren hier die Kosten je nach Systemkonfiguration stark.“

Noch seien allerdings Speichersysteme deutlich zu teuer, um für einen Massenmarkt attraktiv zu sein. „Derzeit liegen wir bei rund 750 Euro pro Kilowattstunde Speicherkapazität.“ Durch eine intelligente Integration entlang der Wertschöpfungskette wollen die Karlsruher bis 2018 serienfähig Batteriesysteme entwickeln, die eine Energiedichte von 250 Wattstunden pro Kilogramm bieten und rund 250 Euro pro Kilowattstunde kosten, erklärt Wollersheim. „Dann lohnt sich das für viele Gewerbebetriebe oder auch für Lebensmittelmärkte oder Backshops etwa, die erhebliche Stromlasten haben.“

Netze effektiv entlasten

Damit wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Energiewende getan. „Denn wenn sich Speichersysteme großflächig durchsetzen, können sie die Fluktuation von erneuerbaren Energien ausgleichen und die Netze effektiv entlasten.“ Was sich auch auf das Design der öffentlichen Netze und deren Kosten auswirke. „Die Wirtschaftlichkeit der Energiebereitstellung hängt stark mit dem Design der Netze zusammen.“

Vereinfacht ausgedrückt: Die Versorgung in Deutschland ist sehr stabil, das aber macht Strom vor allem für Privatkunden teuer. In vielen anderen Ländern hingegen ist Strom zwar vergleichsweise billig – das aber geht zu Lasten der Verfügbarkeit, was vor allem für Industriekunden problematisch und damit der gesamten Wirtschaftsleistung abträglich ist. „Ziel muss es sein, dass erneuerbare Energien die Kosten für die öffentlichen Netze nicht noch weiter nach oben treiben, sondern im Gegenteil: dass sie helfen, diese Kosten zu senken.“ Dies sei ein durchaus realistisches Ziel, bei dem die Speichersysteme eine wesentliche Rolle spielten.

Darüber hinaus sei es mit ausgereiften Speichersystemen möglich, die Industrie in Ländern mit problematischer Versorgungslage weitgehend mit vor Ort produziertem Strom aus erneuerbaren Quellen zu versorgen. „Für netzferne energieintensive Betriebe wie Minen etwa ist eine Eigenversorgungsquote von bis zu 80 Prozent mit selbst erzeugtem Solarstrom möglich. Bei hoher Einstrahlungsintensität eventuell sogar mehr.“

Auch für die Alltagstauglichkeit von E-Mobilen ist die Effizienz von Speichersystemen logischerweise von wesentlicher Bedeutung. „Effizientere Batteriesysteme können die Reichweite von Elektrofahrzeugen signifikant erhöhen.“ Und damit E-Mobilen auf breiter Front zum Durchbruch verhelfen.

Lithium-Technologien im Fokus

Für seine Speichersysteme testet das Team unterschiedliche Lithium-Technologien wie etwa Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt-Oxid oder Lithium-Eisenphosphat. Im Labor werden auch Zukunftstechnologien wie Silizium-Anoden oder Lithium-Schwefel-Batterien erforscht. Nicht im Einsatz allerdings sind Systeme mit Lithium-Titanat-Technologie, wie sie der nur 50 Autominuten entfernte Batteriehersteller Leclanché herstellt.

„Wir schätzen diese Technologie außerordentlich“, so der KIT-Experte. „Sie ist sehr sicher und bietet enorm hohe Zyklenzahlen – leider ist sie relativ teuer.“ Außerdem sei die hohe Zahl an Be- und Entladezyklen – Leclanché spricht von 15.000 – für Privatanwender schlicht nicht erforderlich. „Im Privathaushalt gehen wir von 200 bis 250 Zyklen im Jahr aus, das sind in 20 Jahren maximal 5.000 Zyklen. Nach unseren Vorgaben müssen Speicher 6.000 bis 7.000 Zyklen unbeschadet überstehen. Das ist mehr als ausreichend.“

Für seine Forschungen hat das Competence-E-Team ein umfassendes Szenario für die Erfassung und Analyse der Leistungsdaten implementiert. Die wissenschaftliche Auswertung soll zeigen, welche Systemkonfiguration wie netzschonend und wie kostengünstig ist. Dabei spielt die richtige Systemsteuerung eine wichtige Rolle für die Wirtschaftlichkeit wie für die Lebensdauer der Batterien. „Wenn zum Beispiel der Akku um 11 Uhr vormittags schon voll ist, dann geht die Mittagsspitze ins Netz. Und die Batterie bleibt stundenlang vollgeladen und ungenutzt. Das ist weder gut für die Batterie noch fürs Netz. Um das zu vermeiden, muss der Ladevorgang abhängig von Einstrahlung und Verbrauch intelligent gesteuert werden.“

Schließlich haben die Wissenschaftler einen hohen gesamtgesellschaftlichen Anspruch. Olaf Wollersheim: „Wir wollen einen Beitrag zu einer wissenschaftlich fundierten Strategie leisten, auf deren Basis das erklärte Ausbauziel erreichbar ist, Deutschland bis 2030 zu 50 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu versorgen.“

Ein zentrales Thema dabei ist die Sicherheit von Speichersystemen. Unter anderem arbeiten die Wissenschaftler in diesem Zusammenhang eng mit den Branchenverbänden wie ZVEI, BSW-Solar und dem Bundesverband Energiespeicher BVES zusammen.

Erste Produkte aus ihren Forschungen will der Projektleiter auf der Intersolar 2015 präsentieren. „Wir gehen davon aus, dass unsere Prototypen bis in spätestens anderthalb Jahren serienreif sind.“

Wirtschaftlicher Nutzen

Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn hat der neue Solarstrom-Speicher-Park in Karlsruhe natürlich auch einen wirtschaftlichen Nutzen. Der im wissenschaftlichen Umfeld erzeugte Strom wird auf dem Campus Nord des KIT für den Betrieb großer Forschungsgeräte eingesetzt. Zwar lassen sich damit nur etwa zwei Prozent des jährlichen Strombedarfs des Instituts decken, dennoch summiert sich die jährliche Kostenersparnis auf rund 150.000 Euro – bei einer Anlagenlebensdauer von 20 Jahren. Das Investment für die Anlage beläuft sich auf rund 1,5 Millionen Euro.

Zahlen, die für sich sprechen. Und deren Konsequenz den großen Energieversorgern naturgemäß nicht schmeckt. Dennoch zeigt sich der pragmatische Wissenschaftler überzeugt, dass Strom in Zukunft in hohem Maße dezentral erzeugt wird. „Energie aus erneuerbaren Quellen lässt sich längst zu ausgesprochen attraktiven Konditionen gewinnen, und binnen weniger Jahre werden die Speicher sicher, günstig und leistungsfähig genug sein, um sich auf dem Markt durchzusetzen. Dazu leisten wir unseren Beitrag.“ Wenn erst mal eine gewisse Zahl von Privatverbrauchern, Hausbesitzern und Gewerbetreibenden ihren eigenen Strom produziere und weitgehend selbst verbrauche, werde sich die Entwicklung nicht zurückdrehen lassen.

Kurz: „Ich sehe nicht, dass in einem zivilisierten und demokratischen Land wie Deutschland die dezentrale Stromversorgung aufzuhalten ist.“ Die richtige Speichertechnologie ist der letzte Schlüssel dazu.

 

Forschung für Märkte

Das Karlsruher Institut für Technologie versteht sich als Forschungseinrichtung, die technologische Entwicklungen mit Blick auf deren Marktfähigkeit vorantreibt und der Wirtschaft qualifiziert zuarbeitet. „Die Ergebnisse unserer Arbeit sollen helfen, wirtschaftliche Potenziale zu entwickeln und auszuschöpfen“, so Olaf Wollersheim. „Wir bieten dem Markt gut ausgebildete Studenten, und die Industrie bekommt von uns praxisorientierte Forschungsergebnisse sowie funktions- und marktfähige Prototypen und Technologien.“

Für viele seiner Entwicklungen vergibt das KIT Lizenzen. Sie sollen Industrieunternehmen in die Lage versetzen, mit überschaubarem Forschungsaufwand in die Serienproduktion zu gehen. „Die Systeme, die wir lizenzieren, sind sicher. Wir achten auf Wirtschaftlichkeit und Produktionsfähigkeit – und wir prüfen auch, dass für die jeweils benötigten Schlüsselkomponenten qualifizierte Lieferanten zur Verfügung stehen.“

 

Stadtbus mit E-Antrieb

Derzeit entwickeln Wissenschaftler am KIT einen Stadtbus mit Elektroantrieb. In spätestens zwei Jahren soll das Projekt marktreif sein. Unter anderem beteiligt sich der Lehrstuhl für Bahnsystemtechnik (BST) am Projekt „PRIMOVE Mannheim“, bei dem es unter anderem um den Einsatz von induktiv ladenden E-Bussen im urbanen Verkehr geht. Im Rahmen des Projekts setzen die Rhein-Neckar-Verkehrsbetriebe (RNV) seit vergangenem Jahr auf der Mannheimer Buslinie 63 zwei rein elektrisch betriebene Busse ein, die an ausgewählten Haltestellen induktiv Energie nachtanken.