Fäuste aus Eis

Der Klimawandel fordert seine Opfer jetzt auch in Mitteleuropa. Die Unwetter vom Hochsommer 2013 haben Schäden in Milliardenhöhe verursacht. Neben unzähligen Autos, Dächern und Fensterscheiben gingen auch viele Photovoltaik-Anlagen zu Bruch.

Sonntag, 28. Juli 2013. Seit Wochen herrscht Hochsommer über Deutschland. Die Luft ist zum Schneiden dick. In den vergangenen Tagen hatten sich die Temperaturen immer noch ein Stückchen höher geschraubt. Inzwischen erreichen sie fast 40 Grad – eine für mitteleuropäische Verhältnisse schier unerträgliche Hitze hat das Land im Griff. Seit Tagen entladen sich Hitzegewitter, begleitet von sintflutartigen Regenfällen. Im Ruhrgebiet, in Sachsen und Thüringen treten Flüsse über die Ufer, laufen Keller und Tiefgaragen voll.

Der Südwesten Deutschlands blieb bisher von den schlimmsten Auswirkungen der Hitzewelle verschont. Bisher. Für heute Nachmittag allerdings warnt der Deutsche Wetterdienst vor „unwetterartigen Gewittern mit Starkregen und Hagel“ zwischen Freiburg und Stuttgart. Noch scheint die Sonne von einem fast makellos blauen Himmel. Doch im Westen türmen sich erste Wolkenberge. Zunächst weiß, dann grau, fast schwarz, und schließlich wechseln sie – ein Vorzeichen für Hagel – ins Gelbliche.

Milliardenschäden in Minutenschnelle

Die Menschen bringen Pflanzen, Gartengeräte und sonstige lose Gegenstände in Sicherheit. Dann bricht der Sturm los. Es knallt. Hagelkörner so groß wie Golfbälle schlagen ein. Doch der Höhepunkt kommt erst noch: Tennisballgroße Eisbrocken schießen vom Himmel, manche erreichen gar die Größe einer Männerfaust. Wer jetzt nicht unter Dach ist, muss um sein Leben fürchten. Fassungslos stehen die Menschen in ihren Häusern und hoffen, dass es bald vorbei sein möge. Die ersten Fenster und Dachziegel zerbersten, Wasser dringt ein…

Nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei. Die ganz Coolen gehen nach draußen und fotografieren die größten Hagelkörner. Sie dokumentieren „das wahrscheinlich größte Hagelereignis in der Geschichte der Bundesrepublik“, wie die SV Gebäudeversicherung Mitte August an ihre betroffenen Kunden schreibt.

Auf einem Korridor von rund 20 Kilometern Breite und 80 Kilometern Länge ist kaum ein Haus verschont geblieben. Allein die SV registriert in den Tagen danach rund 60.000 Gebäudeschäden. Und der weltgrößte Rückversicherungsmakler Aon Benfield schätzt zwei Wochen später die versicherten Schäden auf 1,1 bis 1,5 Milliarden Euro.

PV-Anlagen robuster als Dachziegel

Dienstag, 30. Juli 2013. Die Regenfälle haben aufgehört. Die Menschen beginnen ihre Gärten aufzuräumen und die Schäden zu inspizieren. Am wichtigsten sind Dachfenster, Ziegel und Solaranlagen. Während Solarthermie-Module fast ausnahmslos in kleine weiße Scherbenhaufen zersplittert sind, zeigen sich die meisten Photovoltaik-Anlagen im ersten Augenschein als unversehrt.

Elektroingenieur Dietmar Wahr, freiberuflicher Photovoltaik-Planer und -Berater aus dem schwäbischen Pfullingen, konstatiert Überraschendes: „Viele PV-Anlagen haben Schlimmeres verhindert, denn die Module sind in der Regel robuster als Tonziegel. Wir haben Fälle, in denen trugen die Photovoltaik-Anlagen keine oder nur geringe Schäden davon, aber die Dachflächen drum herum geben ein Bild der Verwüstung ab.“ Rund die Hälfte der von ihm installierten Anlagen hätten den Hagel unbeschadet überstanden, „bei der anderen Hälfte sind meist nur zwei oder drei von mehreren Dutzend Modulen zerstört.“

Die Beschädigungen reichen von Haarrissen in der Glasoberfläche bis hin zu deutlich sichtbaren Einschlägen – oft zehn und mehr auf einem Modul. Dirk Mayer, Inhaber des Naturstrom-Unternehmens SBWW in Gäufelden: „Nach unseren Erfahrungen spielt die spannungsfreie Montage eine maßgebliche Rolle. Module, die nicht spannungsfrei montiert sind, gehen bei Hagelschlag natürlich wesentlich schneller zu Bruch.“

Abschalten und austauschen

Das Wichtigste ist zunächst, die Anlage abzuschalten, wenn sich Schäden zeigen, erklärt Dietmar Wahl. „Leider gibt es viele Montagebetriebe, die ihre Anlagen nicht oder nicht richtig erden. Und wenn dann die Anlage noch am Netz hängt, liegt an den Modulen unter Umständen Netzspannung an. Das ist gefährlich für jeden, der dort hantiert. Im Übrigen können defekte Module, je nach Konstellation und Schaltung, den Wechselrichter in Mitleidenschaft ziehen.“

Der nächste Schritt heißt: defekte Module tauschen. Doch schon hier zeigen sich erste Schwierigkeiten, berichtet Elektroinstallateur Christian Neher von Neher Solarstysteme in Hirrlingen. „Wir arbeiten nur mit namhaften Herstellern zusammen. Da gibt es keine Probleme mit Ersatzmodulen. Bei vielen Geschädigten aber sind ältere Module von Herstellern installiert, die inzwischen nicht mehr am Markt sind.“ Diese Module seien meist nicht mit moderneren kompatibel. In solchen Fällen muss dann der ganze betroffene String und gegebenenfalls auch der Wechselrichter getauscht werden.

Oder man setzt ähnliche Module ein, die den mechanischen und elektrischen Eigenschaften der ursprünglichen Bestückung nahe kommen. „Das ist in bestimmten Konstellationen durchaus machbar“, stellt Volker Pfister, Geschäftsführer des Solarspezialisten Techmaster aus Hechingen, fest.

Allerdings sei dabei große Sorgfalt geboten. Mancher Installationsbetrieb verwende für einen solchen Tausch Module mit zu stark abweichenden elektrischen Daten oder verschalte sie nicht ordnungsgemäß. „Nach Wiederinbetriebnahme sollte deshalb unbedingt ein Messprotokoll gemäß der Norm DIN EN 62446 / VDE 0126-23 erstell werden. Diese Werte sollte man genau kontrollieren beziehungsweise mit den ursprünglichen Messwerten der Anlage vergleichen.“ Im Zweifel, so Pfister, sei es sinnvoll, für diese Analyse einen weiteren Experten zu Rate zu ziehen.

Ein weiteres Problem sind ältere Wechselrichter, die ihre Arbeit nur in einer ganz spezifischen Konstellation verrichten. SBWW-Chef Dirk Mayer: „In der Vergangenheit wurden häufig Wechselrichter installiert, die nur zwei Strings mit der gleichen Anzahl an Modulen verarbeiten können. Ist ein Modul defekt, für das kein Ersatz mehr zu bekommen ist, muss entweder im zweiten String ein Modul abgeklemmt werden, damit das Ganze wieder harmonisiert ist, oder man muss die ganze Anlage austauschen.“

Versteckte Schäden aufspüren

Noch diffiziler ist die Angelegenheit, wenn die Glasoberfläche der PV-Module nur Haarrisse aufweist oder Mikrorisse in den Solarzellen entstanden sind, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Da die Module zumindest in den ersten Tagen und Wochen nach dem Hagelschlag ganz normal weiter arbeiten, liefern oft auch Ertragsmessungen per Datenlogger kein Indiz für einen Schaden. Techmaster-Chef Volker Pfister empfiehlt, „die Anlage zur Sicherheit gemäß DIN-Norm DIN EN 62446 / VDE 0126-23 durchzumessen und den PV-Generator mit einer Infrarotkamera zu untersuchen.“

Pfister setzt zu diesem Zweck ein kleines Fluggerät namens „Hexacopter“ ein, ausgerüstet mit einer fernsteuerbaren Wärmebildkamera. Damit kann er die Photovoltaikmodule im optimalen Winkel von 90° überprüfen. „Auf diese Weise lassen sich unsichtbare Fehler zuverlässig aufspüren.“

Wer auf diesen Aufwand verzichtet, wird die versteckten Schäden sehr wahrscheinlich im Herbst entdecken, wenn die Nächte kühler und feuchter werden: Feuchtigkeit dringt ein, die Glasscheiben beschlagen. In der Folge korrodieren die Solarzellen und büßen langsam aber sicher ihre Funktionsfähigkeit ein. „Wir werden im Herbst und Winter bestimmt noch Einiges an Spätschäden dieser Art haben“, vermutet Christian Neher.

Übrigens: Viele Wetterexperten meldeten sich in den Wochen nach den verheerenden Unwettern zu Wort. Man müsse in den kommenden Jahren vermehrt mit heißen Sommertagen und Super-Unwetterzellen rechnen, hieß es. Eventuell müssen wir uns an den Anblick von Hagelkörnern groß wie Tennisbälle gewöhnen.

Über die Norm hinaus

Um das CE Zeichen zu bekommen, müssen Solarmodule im Rahmen der internationalen Norm IEC 61215 geprüft und zertifiziert werden. Mindestanforderung für die dabei geprüfte Druck- und Sog-Belastung sind 2.400 Pa (Pascal). Diese muss jedes für den Verkauf und Einsatz in Europa zugelassene Modul erfüllen. Für Regionen mit höheren Schneelasten, etwa in Kanada, werden 5.400 Pa gefordert.

Einige Hersteller sind in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, alle ihre Module nach den höheren Anforderungen auszulegen. Matthias Nell, Senior Product Manager bei LG Electronics Deutschland: „Die Solarmodule von LG Electronics sind alle bis 5.400 Pa Druckbelastung zertifiziert.“ Und Christian Comes, Manager Business Development bei Panasonic Europe, betont, sein Unternehmen richte sich derzeit „offiziell an die 2.400 Pascal der IEC Norm“. In den internen Tests allerdings bestünden die Module „auch Tests, die deutlich über die Anforderungen der IEC Norm hinausgehen.“

Entscheidend für die Robustheit sei neben der Belastbarkeit des Hartglases auch das Rahmendesign. Deshalb liefere Panasonic seine Module in einem schraubenlosen, eloxierten und beschichteten Aluminium-Rahmen. „Zudem sind unsere Zellen stärker als normale Zellen, weil sie bifazial sind; dadurch sind sie elastischer und weniger anfällig“.

LG-Mann Matthias Nell empfiehlt bei funktionierenden Solarmodulen, die von Hagelkörnern getroffen wurden, „neben der visuellen Kontrolle auch eine elektrische Prüfung durchzuführen. Eine elektrische Prüfung könnte eine Kennlinienmessung, eine Thermographie-Aufnahme und/oder eine Messung der Elektrolumineszenz umfassen.“ Allerdings gelte es, auch das Verhältnis von Kosten zu Nutzen zu berücksichtigen. „Es könnte im Zweifelsfall preiswerter sein, das Solarmodul direkt auszutauschen, statt  umfangreiche Analysetests durchzuführen.“

Billigmodule sind am Ende teurer

„Wir sehen, dass Billigprodukte am Ende die teureren sind“, gibt ein Versicherungsexperte in diesen Tagen zu Protokoll, der nicht namentlich genannt werden will. „Die sind zum Beispiel oft mit Silikonfugen versehen, die der UV-Strahlung auf Dauer nicht gewachsen sind. Das wirkt sich nachteilig auf die Stabilität und Wasserdichte aus. Auch die Zellen und das Sicherheitsglas entsprechen oft gerade mal dem Standard, der bei den großen Herstellern aus Europa, Japan oder Korea schon vor Jahren üblich war und heute in der Regel übertroffen wird.“

Die Folge zeige sich nach einem solchen Unwetter: „Ältere Module und Billigprodukte gehen wesentlich häufiger zu Bruch als die neueren Modelle und die der namhaften Hersteller.“ Hinzu komme das Problem nicht mehr lieferbarer Ersatzmodule, das oft den Tausch ganzer Anlagen oder Strings erforderlich mache. „An dieser Stelle kostet die Insolvenzwelle, die in den vergangenen Jahren vor allem die europäischen Modulhersteller erfasst hat, uns Versicherer und die Verbraucher viel Geld.“

Denn zum einen werden die Anlagenbesitzer künftig höhere Versicherungsprämien zu bezahlen haben, zum anderen übernimmt die Versicherung bei einer Neukonfiguration des kompletten Systems in aller Regel nur die Komponenten, die tatsächlich als Ersatz für beschädigtes Material benötigt werden.

Der Ertragsausfall für die Zeit, in der die durch Hagel beschädigten PV-Anlagen keinen Strom liefern, ist übrigens in aller Regel mitversichert.