Die Luft ist rein

Jetzt geht´s ans Eingemachte. Die Gebäude der Neuen Messe sind längst überdacht, die Heizung läuft. Sie ist Teil eines ausgeklügelten Klimasystems, das schon vor dem Start der Messe unter Fachleuten für Gesprächsstoff sorgt und als kleine Sensation gilt. Denn die sogenannte Schichtlüftung, die den Menschen in den Hallen ab Herbst reine und wohltemperierte Luft zufächeln wird, ist im Messebau bislang weltweit ohne Beispiel. Vor allem aber: Das gesamte Klimasystem ist in höchstem Maße energiesparend konzipiert. Das schont unsere Umwelt – und die Kasse der Betreibergesellschaft.

Sie sind lebendig wie eh und je, die klassischen schwäbischen Tugenden Tüftlergeist und Sparsamkeit. Beide übrigens lassen sich historisch zurückführen auf die dem Landstrich eigene Knappheit der Ressourcen („Viel Steine gab´s und wenig Brot“) – auf die sprichwörtliche Not, die erfinderisch macht. Nun herrscht zwar seit langem keine Not mehr im Schwabenland, die daraus erwachsenen Tugenden indes sind geblieben.

Peter Mattes hat sie offenbar verinnerlicht. Als Projektleiter Technische Ausrüstung ist er verantwortlich für das High-Tech-Innenleben der Neuen Messe. Er und eine Gruppe detailverliebter Mittüftler haben auf den Fildern in Sachen Messeklimasystem Maßstäbe gesetzt, noch ehe die Neue Messe in Betrieb geht.

„Bisher werden im Messebau weltweit so genannte Mischluftanlagen eingesetzt“, erklärt er. „Sie drücken über Auslassdüsen in einigen Metern Höhe oder an der Hallendecke Luft in den Raum – so stark, dass in den unteren zwei Metern, dort wo sich die Menschen aufhalten, das Klima nach Möglichkeit optimal ist.“ Die Folge: Die verbrauchte und erwärmte Luft in der Halle wird ständig mit frischer Luft vermischt, daher der Name Mischluftsystem.

Leichte Brise

Ganz anders dagegen die Schichtlüftung, die in den Hallen der Neuen Messe zum Einsatz kommt: Sie fächelt den Menschen über sogenannte Quellluftauslässe frische Luft von der Seite zu. Acht solcher Auslässe – gut zwei Meter hoch und mehr als fünf Meter breit – befinden sich in jeder Standardhalle, vier an jeder Seite. Aus ihnen quillt großflächig Frischluft mit einer Geschwindigkeit von 20 Zentimetern pro Sekunde in den Raum – und zwar genau dort, wo man sie benötigt: auf Arbeitshöhe der Menschen.

„Das hat mehrere Vorteile“, erklärt Dr. Michael Bauer, Geschäftsführer des federführenden Planungsbüros DS-Plan: „Im Messebetrieb ist die Regel, dass die Luft im unteren Bereich stark aufgeheizt wird. Diese warme, verbrauchte Luft steigt von selbst nach oben. Und genau das machen wir uns zunutze.“

Zum einen, indem nur die untere Luftschicht bis etwa vier Meter Höhe ständig gekühlt und frisch gehalten werden muss. „Dadurch müssen wir nur etwa halb so viel Luft umwälzen wie bei einem Mischluftsystem, um im Aufenthaltsbereich die gleiche Luftqualität zu bekommen.“ Natürlich wirkt sich das positiv auf die Dimensionierung und damit die Anschaffungskosten der Lüftungsanlage aus, aber auch der Energie- und Kostenaufwand im laufenden Betrieb ist deutlich niedriger. Michael Bauer: „Wir konnten durch diese Konzeption für den Ausstellungsbereich Lüftungsanlagen mit einer Gesamtkapazität von einer Million Kubikmetern pro Stunde einsparen und erreichen trotzdem einen höheren Komfort im Aufenthaltsbereich als in vergleichbaren Messehallen, die nach dem Mischlüftungsprinzip belüftet werden.“

Immenser Effekt

Erheblichen Energiegewinn bringt das System durch einen quasi erwünschten Nebeneffekt: Die aufsteigende Luft kann in den oberen, nicht belüfteten Schichten bis zu 28 Grad warm sein. Sie wird an kalten Tagen angesaugt und per Wärmerückgewinnung dazu genutzt, die von außen zugeführte Frischluft zu erwärmen. „Der Effekt ist so immens, dass ich Luft, die beispielsweise mit null Grad von außen angesaugt wird, in der Regel nicht mehr zusätzlich aufheizen muss. Das spart natürlich eine Menge Heizenergie,“ freut sich der DS-Plan-Chef.

Klar, im Winter muss dennoch geheizt werden – schließlich sind hier zu Lande in der kalten Jahreszeit Temperaturen unter zehn Grad minus keine Seltenheit. Peter Mattes: „Das machen wir nicht über das Lüftungssystem. Das ist nur dazu da, die Luft tagsüber frisch und auf einer für die Menschen angenehmen Temperatur zu halten.“ Für das Aufheizen der Hallen wurden in einigen Metern Höhe Weitwurfdüsen installiert, die für einige Stunden in der Nacht ihre computergesteuerte Arbeit verrichten. „Sie heizen so auf, dass morgens bei Beginn des Messebetriebs optimale Temperaturen herrschen, den Rest erledigt dann die Lüftung.“

Wohlige Wirkung

Sparsamkeit und höchstmögliche Effizienz waren natürlich auch bei der Konzeption der Heizung elementare Anforderungen. So entfalten drei riesige Heizkessel ihre wohlige Wirkung, die für rund 800 Einfamilienhäuser ausreichen würde, auf der Basis von Gasbrennern, die sich bei Bedarf auf Öl umstellen lassen. Das macht flexibel, um auf Gas-Engpässe oder hohe Preisunterschiede bei den Energieträgern problemlos reagieren zu können. Und es wirkt sich direkt auf den Gaspreis aus. Denn ein Versorger, der zu jeder Zeit hundertprozentige Versorgung garantieren muss, lässt sich das natürlich bezahlen.

Auch in der Heizanlage sorgt übrigens ein Wärmerückgewinnungs-System dafür, dass die Abwärme nicht einfach durch den Kamin geht, sondern wieder in den Energiekreislauf eingespeist wird.

Alle Gebäude der Neuen Messe werden zentral geheizt und gekühlt. Große, rund dreieinhalb Kilometer lange Ringleitungen führen das aufgeheizte, beziehungsweise heruntergekühlte Wasser zu den Hallen; nach der Nutzung wird es in parallel verlaufenden Rohren wieder in die Heiz- oder Kühlzentrale zurückgeführt. Das hat den Vorteil, dass die Anlagetechnik insgesamt deutlich kleiner dimensioniert werden konnte als bei einer dezentralen Versorgung jeder einzelnen Halle.

Umfangreiche Testszenarien

Übrigens: Um sicherzustellen, dass die Schichtlüftung auch tatsächlich zur Zufriedenheit aller Messebesucher und der Betreiber arbeitet – schließlich ist eine solche Lösung für Messen bislang beispiellos –, unterzogen die Planer das System zuvor einer akribischen Prüfung. Peter Mattes: „Wir haben drei umfangreiche Testszenarien aufgebaut. Zunächst wurden mit einem Computermodell Luftverteilung und Wärmeentwicklung im Raum berechnet, dann gab´s einen Laborversuch am Institut für GebäudeEnergetik der Universität Stuttgart, bei dem wir das Ganze in einem kleineren Raum getestet haben.“

Für das dritte Szenario setzten die Techniker noch eins drauf: Feldversuch in einer Messehalle am Killesberg. Sie installierten einen Quellluftauslass in Originalgröße und bestückten die Halle mit Wärmequellen und Aufbauten, die einen regulären Messebetrieb simulierten. „Die entscheidende Frage für uns war, ob die frische Luft trotz Stellwänden und anderen Hürden wirklich bis in die Mitte der Halle strömt.“ Um das zu überprüfen, wurde mit Rauch und Nebel gearbeitet, wurde fotografiert, gefilmt und dokumentiert, beobachtet und berechnet. Das Ergebnis überzeugte selbst Skeptiker Peter Mattes: „Es war wirklich faszinierend zu sehen, wie effizient dieses System arbeitet.“

Maßstäbe gesetzt

So effizient, dass schon jetzt klar ist: Mit ihrem Klimasystem setzt die Neue Messe Stuttgart Maßstäbe und macht dem Ruf der Schwaben als sparsame Tüftler mit Sinn fürs Machbare alle Ehre. Insgesamt, so rechnet Michael Bauer von DS-Plan vor, wurden durch die Gesamtkonzeption und die Optimierung aller Komponenten im Vergleich zu bisher üblichen Systemen Investitionskosten in zweistelliger Millionenhöhe gespart. „Dazu kommen jährliche Betriebskosteneinsparungen in Höhe von mehreren hunderttausend Euro.“ Ganz zu schweigen vom positiven Effekt für die Umwelt. „Wir werden pro Jahr mehr als tausend Tonnen Kohlendioxyd weniger ausstoßen als mit herkömmlichen Konzepten. Das entspricht dem Schadstoffausstoß von rund 200 Einfamilienhäusern.“

 

Die Luft zum Atmen

Wussten Sie, dass ein Mensch pro Stunde zwischen 20 und 30 Kubikmeter Luft verbraucht? Halten sich also zehn Personen in einem geschlossenen Raum auf, der 50 Quadratmeter groß und drei Meter hoch ist, also 150 Kubikmeter Luft enthält, wird dieselbe nach spätestens einer Stunde ziemlich dick. Gleiches gilt für eine mit ein paar Tausend Menschen gefüllte Halle. Es sei denn, sie ist mit einem effizienten Lüftungssystem ausgestattet.